ADHS bei Hunden

Belgian Shepherd leashed, trying to run against white background

ADHS bei Hunden

ADHS bei Hunden


Unruhegeist, Wirbelwind, Wippsteert, Zappelphilipp…
…ADHS bei Hunden?


Hundetrainerin Maren Grote über hyperaktive Hunde und ADHS.


Im Humanbereich wird über ADHS kontrovers diskutiert. Modetrend oder ernstzunehmende Krankheit? Gibt es das Krankheitsbild ADHS tatsächlich auch bei Hunden und wie äußert es sich?
Das stimmt, es kommt immer wieder zu Diskussionen. Dazu muss man aber ganz klar sagen, dass ADHS eine Krankheit ist, die in der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD) definiert ist. Es ist also nicht die Erfindung irgendwelcher Leute, die überdrehtes Verhalten plötzlich mit einem Krankheitsnamen versehen haben, sondern eine offizielle Einstufung als psychische Krankheit. Es als Modetrend zu bezeichnen wäre also genau so, als würde man andere anerkannte Krankheiten der Seele als Mode bezeichnen.
Oft ist die Grundlage der Diskussion ein Missverständnis, das aus Uninformiertheit herrührt. Die Diagnose wird einfach häufig falsch, übereilt, oder von Laien gestellt und das Verhalten hat häufig nicht viel mit dem definierten Krankheitsbild zu tun.

So glauben immer noch viele Menschen, dass ADHS einfach Unerzogenheit ist. Dem ist aber nicht so. Unerzogenheit ist Unerzogenheit und keine Krankheit. Schlechtes Benehmen, enthemmtes Verhalten und Wildheit sind also nicht automatisch ADHS.
Wie auch andere psychische Störungen, kann auch diese beim Hund auftreten, ebenso wie beim Mensch. Wir sind uns in vielem ähnlich. Hund und Mensch sind soziale Lebewesen, die in Gruppen leben und eine gewisse Intelligenz mitbringen. Dass Hunde Gefühle haben wird jeder Hundebesitzer bestätigen können und auch die Forschung weist ganz klar darauf hin, dass Tiere ebenso empfinden wie wir.

Unsere Gehirne sind die jeweilige Schaltzentrale für die Gefühle und die Auswirkungen. Beim Hund genauso wie bei uns.
ADHS abzuschmettern und als Mode zu bezeichnen birgt aber auch eine immer deutlicher werdende Gefahr: Die Ablehnung der betroffenen Menschen und Hunde schlägt in Brutalität und unangemessenes Verhalten um. Sprüche wie „wenn wir damals ADHS hatten, haben wir eine geknallt bekommen und waren wieder gesund“ treffen da auf den Kopf. „Der Hund muss nur mal richtig einen auf den Deckel bekommen“ wird dann schnell zum Leitsatz für ein ohnehin mit der Welt überfordertes Lebewesen. Genauso wenig wie man einen Depressiven heilt, indem man ihn mal kräftig durchkitzelt, oder jemandem mit Wahnvorstellungen logisch erklärt, dass seine Paranoia unbegründet ist, kann man auch ADHS nicht wegprügeln.
Eine gute Aufklärung und sichere Diagnose würden dagegen helfen. Genauso wie eine Akzeptanz und dem Hund zugewandte Hilfe mit seinem Problem. Ein Hund mit ADHS verhält sich nicht so, weil er den Besitzer nicht ernst nimmt oder weil er mehr Druck braucht, sondern weil er eine Krankheit hat, die es ihm schwer macht, sich einfach „normal“ zu verhalten. Im Gegenzug heißt das sicher nicht, dass unerzogene, überdrehte Hunde keine Grenzen bräuchten, weil sie ja sowieso krank seien. Sowohl bei ADHS, als auch bei Unerzogenheit und Wildheit gehören ganz klare Grenzen und Regeln zur Grundausstattung des Zusammenlebens.


Wie kann ich einen einfach nur hyperaktiven Hund von einem ADHS-kranken Hund unterscheiden?


Es fängt damit an, dass ADHS nicht plötzlich ohne Grund auftaucht oder verschwindet. Es zeigt sich also bereits im Welpenalter, dass irgendetwas mit dem Hund nicht stimmt. Auch in anderen Umfeldern ändert sich das Verhalten nicht, wenn der Hund wirklich krank ist. Wenn der Hund also nur bei einem bestimmten Menschen über die Stränge schlägt, oder in der Hundepension immer ein ganz ruhiger und gesitteter Gast ist, dann spricht das gegen ADHS.
Ein Unfall, der eine Schädigung im Gehirn nach sich zieht könnte ADHS auslösen, in den meisten Fällen ist es aber sehr früh sichtbar und angeboren. Verschiedene Faktoren können die Symptomatik dann noch verschlechtern. Die Ernährung, die Haltung und der Umgang mit dem Hund können die vorhandenen Probleme so noch deutlich schlimmer machen.

ADHS sollte nicht einfach so diagnostiziert werden. Es ist schwer von anderen Schädigungen zu unterscheiden und bedarf einer fachlich kompetenten Einschätzung und Ausschlussdiagnostik.


Warum gibt es heute augenscheinlich so viele unruhige und hyperaktive Hunde?


Eine gute Frage, über deren Antwort ich auch nur spekulieren kann. Allen voran sicher über die Problematik der unreflektierten Hundezucht. Viele Rassen, die eigentlich hochspezialisierte Arbeitshunde waren, werden heute nur für ein gutes Aussehen gezüchtet. Dabei wird auch auf enge Verpaarungen zwischen verwandten Hunden gern und oft zurückgegriffen. Ein Vorgehen, was allgemein vererbbare Krankheiten innerhalb einer Rasse häufiger auftreten lässt.
Und so kann aus einem gewollt „arbeitsamen“ und „unreflektiert“ handelndem Hund schnell ein überdrehter und unkonzentrierter Vertreter werden und dann ein psychisch auffälliger.
Aber auch die bei Menschen unter Verdacht stehenden Faktoren sollte man miteinbeziehen. Wenig Stabilität im Leben, andere belastende Störungen und eine nicht förderliche Erziehung auf Basis von Inkonsequenz und falsch verstandener Freiheit. Auch die Ernährung und Umweltgifte scheinen eine wichtige Rolle zu spielen.

Das fertige Futter unserer Hunde ist voll mit Geschmacksverstärkern, Haltbarkeitsmitteln und Farbstoffen. Die wenigsten wissen, dass man z.B. Duft- und Geschmacksverstärker in Tierfutter nicht nur nicht deklarieren muss, sondern auch nicht darf. In Anbetracht der Verkaufszahlen für Tierfutter ist das eine lohnenswerte Lobbyarbeit gewesen, dieses Gesetz zu entwickeln.


Spielt die Rasse bzw. die Genetik eine Rolle bei Hunden, die kaum zur Ruhe kommen oder ist hier möglicherweise in der Erziehung etwas falsch gelaufen?


Es gibt offenbar Rassen, bei denen das Krankheitsbild deutlich häufiger auftritt als bei anderen. Von daher spielt die Genetik definitiv eine große Rolle.
Grade die Hunde, die sowieso eine Veranlagung haben aufgedrehter zu sein, bekommen häufig das, was sie am wenigsten brauchen zu viel und das, was sie am meisten brauchen zu wenig. Frustrationstoleranz, Ruhe und Langeweile sind unangesagte Lernmodelle in Welpengruppen und Hundeschulen. Immer mehr Action steht im Fokus, Auslastung, Power und das Antrainieren von unreflektiertem Handeln werden als „Spaß“ verkauft und machen den ein oder anderen Hund nur noch verrückter. Das ist dann weniger ein Erziehungsproblem, sondern ein Einstellungsproblem zum Hund als Persönlichkeit und erwachsenem Lebewesen mit Anspruch auf ein eigenes und für ihn bestmögliches Leben.


An wen kann ich mich wenden, wenn ich bei meinem Hund den Verdacht auf ADHS habe? Gibt es Spezialisten für diese Krankheit?


Das ist schwer zu sagen. Das Feld ist ja schon bei Menschen bisher schlecht beleuchtet und es ist schwer einen guten Arzt zu finden, der sich wirklich auskennt. Für Hunde ist die Krankheit noch viel frischer in den Fokus gerutscht. Wenn man sich die Meinung eines guten Hundetrainers holt, sollte man nach einer Spezialisierung in dem Bereich fragen. Dann kann man mit Hilfe des Beraters mehrere Tests durchlaufen, Fragen beantworten und über tierärztliche Untersuchungen andere Probleme ausschließen. ADHS lässt sich nicht bei einem Spaziergang oder übers Telefon diagnostizieren.


Wie kann ich meinem hyperaktiven oder unruhigen Hund helfen, sich zu entspannen und allgemein ruhiger zu werden. Mit welchen Trainingsansätzen kann ich bei einem solchen Hund arbeiten, ohne ihn zu überfordern?


In kleinen Schritten und vielen Wiederholungen. Auf keinen Fall hilft es dem Hund, sich noch mehr unkontrolliert hochzufahren. Ruhe, Zugewandtheit und Konsequenz sollten im Vordergrund stehen. Das gilt sowohl für den allgemeinen Umgang, als auch den Einsatz von Lob und Strafe. Man sollte immer im Kopf behalten, dass der Hund Hilfe braucht und keine Rachegedanken gegen ihn und sein Nerv tötendes Verhalten aufkochen lassen.
Oft hilft hier Unterstützung von außen um mit klarem Kopf einen guten Plan zu entwickeln. Das, was dem Hund fehlt, sollte der Mensch versuchen in seinem Verhalten auszugleichen.
An Beschäftigungsmethoden ist alles zuträglich, was langsam, ruhig und kleinschrittig aufgebaut ist. Ruhiges Lob und soziale Zuwendung sollten die kleinen Schritte im Verhalten bestärken.


Für den Hundehalter ist Aufklärung und Verständnis wichtig. Und einen guten Plan für jede Situation zu haben. Denn mit ADHS lässt sich leben und lassen sich auch durchaus Fortschritte erreichen. Trotzdem wird der Hund nicht plötzlich ein anderer werden und wahrscheinlich immer wieder die Hilfe seines Menschen brauchen.

Es gibt aber viele Möglichkeiten der Therapie, die im Gesamten mit einem Spezialisten besprochen werden müssen und dafür sorgen können, dass Hund und Halter wieder ein glückliches Leben miteinander genießen können.

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Über die Autorin

Maren Grote ist zertifizierte Hundetrainerin und CANIS-Absolventin. Mit ihren beiden Hunden Hummel und Nanu! lebt sie östlich von Hamburg. 2013 absolvierte sie zusätzlich eine verhaltenstherapeutisch orientierte Weiterbildung zum Thema „Gesprächsführung für Hundetrainer“ bei „dogument“. Sie war jahrelang als Dozentin bei CANIS für die Themen „Hundegruppen und Dogwalking“ und später bei dogument tätig. Mit KöterCoach hilft sie Hundetrainer*innen sich in ihrem Beruf als Berater*in zu professionalisieren.

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